Die Kanzel von Bad Urach, 1500



Die Kanzel der Amanduskirche ist eine der schönsten Schöpfungen der schwäbischen Spätgotik. Das Kunstwerk wurde um 1500 von der Uracher Bauhütte aus Sandstein geschaffen. Der Künstler ist unbekannt (vielleicht Meister Anton), der Riß dürfte von Peter von Koblenz, dem Baumeister der Kirche selbst stammen. Es war zu dieser Zeit üblich, die Kanzel als wichtiges Ausstattungsstück in die Gesamtplanung der Kirche einzubeziehen.

Trotz des einheitlichen Gesambildes stammen einzelne Teile von 1896/1901, als im Zuge der Kirchenrenovierung die Kanzel vom 4. westlichen Pfeiler aus akustischen Gründen um einen Pfeiler nach Osten versetzt wurde.

Die Kanzel ist über einem Achteck konstruiert. Auf der modernen dreistufigen Sockelplatte erhebt sich der Kanzelfuß. Er besteht im Innern aus einem gewundenen, tief gekehlten Schaft, umgeben von Bündelpfeilern mit Diensten. Sie tragen kleine, von Baldachinen bekrönte Statuetten aus dem 19. Jahrhundert. Diese stellen die vier großen Propheten sowie Johannes den Täufer dar. Die Felder dazwischen sind mit reichem Maßwerk ausgefüllt.

Zwischen dem Kanzelfuß und dem eigentlichen Kanzelkorpus liegt eine Fußplatte aus dem 19. Jahrhundert. An ihren Ecken sind kleine Fratzen in der Art gotischer Wasserspeier angebracht. Auch die Treppe, die sich um den Pfeiler herum zum Kanzelkorb nach oben windet wurde im 19. Jahrhundert neu geschaffen, möglicherweise nach altem Vorbild.

Auf den fünf sichtbaren Seiten des Kanzelkorpus befinden sich Nischen mit einem Korbbogenabschluß. Oben wird die Kanzel von einem profilierten Brüstungsgesims abgeschlossen. Der Raum über den Nischen ist mit reich gegliedertem Ast- und Rankenwerk gefüllt. Teile dieses Rankenwerkes wurden offenbar bei der Versetzung im 19. Jahrhundert beschädigt und möglicherweise nicht vorbildgerecht ergänzt.

Das ikonographische Programm des Kanzelkorbes wurde vermutlich zwischen Graf Eberhard V. und Gabriel Biel (1477 Gründer des Fraterhauses und 1479 erster Probst dort) abgestimmt.

Die Rückwände der tiefen Nischen sind als Vorhänge ausgebildet, so daß Innenräume entstehen, die teilweise auch eingewölbt sind. Vier dieser Räume beherbergen die skulpierten Darstellungen der vier westlichen Kirchenlehrer als die größten Prediger ihrer Zeit, die in steifer Haltung vor ihren Lesepulten sitzen. In den beiden äußeren dieser vier Nischen ist jeweils ein Bischof dargestellt. Dabei handelt es sich um Augustinus, den Bischof von Hippo (354-430) sowie Ambrosius, den Bischof von Mailand (339-397). In der zweiten Nische von links ist Papst Gregor der Große (540-604) mit der Tiara auf dem Haupt dargestellt. Daneben sitzt Hieronymus (340-420) mit seinem Löwen. Er trägt einen weiten Mantelumhang mit Kapuze (Cappa magna) und über der Kapuze einen Kardinalshut.

Die Figur in der fünften, etwas schmäleren Nische stellt den mittelalterlichen Gelehrten Johannes Gerson (1363-1429) dar. Er war ab 1395 Kanzler der Universität in Paris und Wortführer einer friedfertigen Opposition gegen die Mißstände in der Kirche. Er war maßgebend am Konstanzer Konzil (1414-1418) beteiligt und verteidigte dort die "Brüder vom gemeinsamen Leben" gegen heftige Angriffe.

Die Brüstungsecken zwischen den Nischen werden von weiteren Statuetten markiert: Hl. Ulrich, Hl. Willigis, ein Papst, ein Mönch und der Heiligen Benedikt. Die Figur des Mönches wurde bei der Renovierung im 19. Jahrhundert angebracht und wird gerne als Martin Luther gedeutet. Über der Figur des Hl. Benedikt erhebt sich vor dem Rankenwerk ein Maßwerkbaldachin und trennt so optisch die Nischen der Kirchenlehrer von der Nische mit Johannes Gerson.

Nach der Reformation wurde auf den Kanzelkorb ein Brüstungsaufsatz gesetzt, mit dem die Kirchenlehrer als Evangelisten umgedeutet wurden. Dieser Aufsatz im Stil der Renaissance wurde bei der Renovierung im 19. Jahrhundert wieder entfernt und als "Lehrstuhl" (2. Kanzel) im Chor aufgestellt.

Ob für die Kanzel ursprünglich einen Schalldeckel geplant oder sogar vorhanden war ist nicht bekannt. Der heutige hölzerne Schalldeckel wird aufgrund einer Jahreszahl am Pfeiler in das Jahr 1632 datiert. Trotz dieser Datierung mitten in die Zeit des 30jährigen Krieges ist der Schalldeckel sehr aufwendig gestaltet und äußerst kunstvoll gearbeitet. Er wird dem Uracher Schreinermeister Claus Schließwecker zugeschrieben.

Der stilistisch der Renaissance zugehörige Schalldeckel nimmt die oktogonale Grundform der Kanzel auf und entwickelt sich darüber pyramidenförmig in vier übereckgestellten Absätzen. Er ist mit reichem Roll- und Schleifwerk, Masken, Vasen und anderen Renaissanceformen überzogen, die geschnitzt, gedrechselt und teilweise auch mehrfarbig gefaßt sind. In der Pyramide stehen vier vollplastische farbig bemalte Statuetten, die Moses, Petrus, Johannes den Täufer und Paulus darstellen. Bekrönt wird die Pyramide von der Rundplastik des segnenden Christus, des Salvator mundi, Erlösers der Welt. Die Grundplatte des Schalldeckels trägt ein Zitat aus dem Lukas-Evangelium:
SEELIG  SEIND  DIE  SO  GOTTES  WORT  HÖREN  UND  BEWAHREN  LUKAE  XI.